petra paul

et al.


 

Mag.ª Hannah Lessing

Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus

 

„Black & White and a lot in between“

Ausstellungseröffnung Petra Paul

 

 

Ich möchte an den Beginn dieses Abends die Erinnerung an eine besondere Frau stellen: 

 

Genau 100 Jahre und 2 Tage ist es heute her, dass – am 15. Jänner 1919 –Rosa Luxemburg ermordet wurde. 

 

Rosa Luxemburg war eine Frau, die allein mit der Kraft ihres Geistes, mit ihrem Intellekt und ihrer Menschlichkeit gegen die Übermacht der Männer ihrer Zeit angetreten ist und sich vielen in mancher Hinsicht überlegen erwiesen hat. 

 

Ihren Mut und ihre Haltung hat Rosa Luxemburg damals mit ihrem Leben bezahlt – es war ein elender Tod, misshandelt, erschossen und in den Berliner Landwehrkanal geworfen...

 

Eine kritische Stimme, aus der Welt geschafft von Männern, die ihren Worten nichts Anderes als dumpfe Gewalt entgegenzusetzen hatten.

Für mich ist Rosa Luxemburg ein Symbol für alle Frauen, für alle Menschen, die entschlossen, unabhängig und mit freiem Geist ihren eigenen Weg gehen.

 

Eine Entschlossenheit wie die ihre braucht es bis heute.

 

Dieses Jahr ist kaum mehr als 2 Wochen alt, und in Österreich sind bereits vier Frauen Opfer von Gewalttaten geworden. Vier ermordete Frauen in einer einzigen Woche.

Im letzten Jahr starben 36 Frauen durch Gewalt, seit 2014 hat sich die Zahl der Morde an Frauen mehr als verdoppelt. Die Täter: Meist Männer.

 

Täuschen wir uns nicht: Wir leben im Großen und Ganzen noch immer „a men’s world“. In ihr sind Frauen eine Minderheit, „das andere Geschlecht“, wie es Simone de Beauvoir genannt hat.

Die Sprache der Gewalt regiert bis heute, daran hat sich seit den Tagen von Rosa Luxemburg viel zu wenig geändert.

 

Liebe Petra Paul, 

 

Als Du mich gefragt hast, ob ich Deine Ausstellung, die Du in Kooperation mit Aiko Kazuko Kurosaki gemacht hast, eröffnen möchte, hat mich das gefreut und auch besonders berührt.

 

Wir beide arbeiten in verschiedenen Welten, und doch verbindet uns viel:

 

  • Nicht nur, dass wir die Liebe zu Israel teilen – gerade bist Du ja aus Tel Aviv zurückgekehrt. In einigen Deiner Arbeiten finden sich Bezüge zu Israel, und in dieser Ausstellung sind 2 Arbeiten, die Du mit Ophira Avisar aus Israel gemacht hast.

 

  • Es geht in Deinen Werken – wie bei mir– immer wieder um Holocaust, um das Erinnern und Gedenken

 

  • Deine Arbeit „8“, die aus 8 Schachteln in den Farben der „Kennzeichen für Schutzhäftlinge in den Konzentrationslagern” besteht, entführt mich gedanklich nach Auschwitz-Birkenau, wo der Nationalfonds derzeit die Neugestaltung der dort befindlichen österreichischen Ausstellung betreut.  
  • Die „Steine der Erinnerung“, die der Nationalfonds seit langem fördert, finde ich hier auf Deinen Fotografien wieder. 
  • Auch auf Aron Menczer treffe ich in dieser Ausstellung, dessen Erinnerung durch eine vom Nationalfonds geförderte Gedenktafel wachgehalten wird.

 

  • Und wir treffen uns im Bewusstsein, dass es bis heute in der Gesellschaft nicht leicht ist, ANDERS ZU SEIN und in dem Wunsch, daran etwas zu ändern.

 

Meine zentrale Aufgabe im Nationalfonds – neben der Betreuung und Entschädigung von Überlebenden des Nationalsozialismus – liegt darin, für politische Zusammenhänge zu sensibilisieren, damit sich Geschichte nicht wiederholt. 

 

Seit der Ära des Nationalsozialismus mag ein Menschenalter vergangen sein – doch überwunden ist sie nicht

Wenn wir die politischen Entwicklungen aufmerksam verfolgen, wird klar: Diese Vergangenheit wirkt in Österreich fort, bis heute. 

Auch international sind viele alte Vorurteile und Ressentiments, Rassismus und Antisemitismus längst nicht überwunden.

 

Die meisten unserer Aufgaben im Nationalfonds haben daher heute mit der Aufarbeitung zu tun, mit dem Weitergeben der Erinnerung und dem Lernen aus Geschichte: 

Hier konnten wir in den bald 23 Jahren seit Beginn unserer Arbeit in Österreich, wie ich glaube, doch einiges bewegen – Lernprozesse anstoßen, dunkle Geschichte aufarbeiten und bewusster machen, Räume für Erinnerung schaffen. 

 

Das Gedenkjahr 2018 ist gerade vorüber – ein Jahr, in dem in Österreich viel zurückgeblickt wurde, wo die die Grenze zur Vergangenheit durchlässiger wurde. 

Dieses Jahr hat viel angestoßen, das wert ist fortgeführt zu werden.

 

Ein wichtiger Pfeiler sind hier die Projekte, die der Nationalfonds seit seinen Anfängen unterstützt:

 

Das sind Projekte, die Opfern des Nationalsozialismus zugutekommen, die der wissenschaftlichen Erforschung des Nationalsozialismus und des Schicksals seiner Opfer dienen, aber auch Projekte zu Erinnern und Gedenken – seit 1996 waren es rund 1.900 Projekte.

 

Die Bandbreite reicht dabei von sozialen und sozialmedizinischen Projekten, Gedenkveranstaltungen, Mahnmalen und Gedenkstätten (wie die „Steine der Erinnerung“ und die Gedenktafel für Aron Menczer) über Forschungs- und Archivprojekte, Workshops und Symposien bis zu Publikationen und Bildungsprojekten.

 

Vor allem fördern wir viele künstlerische Projekte, die sich mit dem Nationalsozialismus und seinen Folgen in den unterschiedlichsten Formen auseinandersetzen – Konzerte mit Werken vertriebener Komponisten, Filme, Ausstellungen, und jede erdenkliche Form der künstlerischen Auseinandersetzung.

 

Viele unserer Projekte beschäftigen sich auch mit der Verfolgung und den Schicksalen von Minderheiten

Wenn es auch zu Zeiten des Nationalsozialismus Begriffe wie LGBTQ nicht gegeben hat, so gab es doch die Verfolgung von Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung – ein Thema, das zu lange totgeschwiegen wurde. Erst das Nationalfondsgesetz hat explizit auch diese Opfergruppe angesprochen und anerkannt.

 

Überhaupt waren die Opfer des Nationalsozialismus nie eine homogene Gruppe. Vielmehr wurden in den unterschiedlichen Opfergruppen Verfolgung ganz unterschiedlich erfahren –jüdische Lebenswelten und Verfolgungsschicksale unterschieden sich in vielem von denen der Kärntner Sloweninnen und Slowenen oder von denen der Roma.

Gemeinsam war ihnen jedoch allen, dass sie ihrer Rechte beraubt wurden – und vielen am Ende ihr Leben genommen wurde.

Auch in der heutigen Gesellschaft sind Minderheiten unterschiedlicher Diskriminierung ausgesetzt, doch verbunden in der Diskriminierung, die sie in der Mehrheitsgesellschaft erfahren. 

 

Was ich aus den Begegnungen mit Überlebenden des Holocaust erfahren habe, verstehe ich als ein Vermächtnis, das ich weitergeben möchte: 

Ihre Schicksale erinnern uns daran, wie zerbrechlich Demokratie sein kann, wie leicht unsere Rechte und Freiheiten, die wir oft nur allzu selbstverständlich nehmen, wieder verloren gehen könnten.

 

Liebe Petra Paul,

 

Ich schätze Dein Hinterfragen von vielem, was gemeinhin selbstverständlich genommen wird, 

  • Dein Zerpflücken und neu Zusammensetzen des Alltäglichen, scheinbar Vertrauten, 
  • Deine Sensibilität für die Sprache und ihre Veränderungen, die sich in BLACK & WHITE wiederfindet.
  • Deinen scharfen Blick hinter die Kulissen.

 

Die Sprache der Kunst ist oft eine Sprache der Bilder und Symbole. Sie werden manchmal besser verstanden als die treffendsten Argumente.

Künstlerische Äußerungsformen können Menschen auf einer ganz anderen, subtileren Ebene erreichen, denn Kunst transportiert politisches Bewusstsein oft nicht unmittelbar: Sie berührt manchmal das Herz mehr als das Hirn und erreicht so auch Menschen, die sich mit Politik weniger aktiv auseinandersetzen.

 

Deshalb ist es so wichtig, dass es gerade heute Künstlerinnen und Künstler wie Euch gibt, liebe Petra, liebe Aiko, die solche starken Bilder und Symbole sprechen lassen.

 

Wenn ich zurückdenke und vergleiche, dann hat unsere Gesellschaft schon freiere, liberalere und offenere Zeiten erlebt. Wir spüren, dass der politische Wind zunehmend rauher weht, nicht nur hier in Österreich, sondern weltweit. Das spüren immer zuerst die, die exponiert an den Rändern der Gesellschaft stehen – die Randgruppen, die Minderheiten.

 

Denen, die in der Mitte stehen, noch im Windschutz der anderen, denen rufen Kunstprojekte wie die von Petra Paul und Aiko Kazuko Kurosaki zu: 

„Never forget – We all belong to minorities...“

 

Ich komme zum Abschluss noch einmal zurück auf Rosa Luxemburg, die dieser Tage besonders gegenwärtig ist:

 

„Freiheit ist immer Freiheit des anders Denkenden.“[1],

ist ein bekanntes Diktum, das sie vor mehr als 100 Jahren geprägt hat.

 

Ich möchte das gern ergänzen: 

„Freiheit ist auch immer Freiheit des anders Seienden.“

 

 

 

 

[1]Die Russische Revolution, Hrsg. Paul Levi, Verlag Gesellschaft und Erziehung G.m.b.H., 1922, S. 109